Auf dem Highway in die Klimahölle. Oder warum Almosen für den globalen Süden nicht ausreichen.

Globale GerechtigkeitKlimagerechtigkeit

100 Milliarden scheinen in der Politik eine magische Zahl zu sein. Bereits 2009 hatten die Industriestaaten dem globalen Süden versprochen, mit dieser jährlichen Summe ab 2020 Klimaschutz und Anpassung an die Klimakrise zu fördern, Folgen der Erderhitzung abzumildern. Wie allzu häufig wenn es um Entwicklungshilfe oder Unterstützung des globalen Südens geht, sieht die Realität düster aus: Selbst diesen Betrag, der gemessen an den realen Schäden und Verlusten (Loss and Damage) ein Tropen auf den heißen Stein ist, haben die reichsten Nationen der Welt nicht zusammengebracht. Ein aktueller Bericht schätzt die notwendige Summe für den Kampf gegen die Klimakrise im globalen Süden auf ein Vielfaches der 100 Milliarden, nämlich 2,4 Billionen Euro pro Jahr.

Noch in Glasgow, beim letzten Weltklimagipfel, hatten die Industriestaaten, darunter Deutschland, sich geweigert, einem verbindlichen Finanzierungsmechanismus zuzustimmen, den 77 Staaten des globalen Südens gefordert hatten. Eine dürre Formulierung, dazu einen „Glasgow-Dialog“ zu führen, war der Minimalkompromiss. Vor der COP 27 in Ägypten hatten nun die Staaten, die bereits jetzt am stärksten unter den Klimafolgen leiden, aber am wenigsten zur Erderhitzung beitragen, eingefordert, die Verhandlungen zu „Loss and Damage“ auf die Agenda des diesjährigen Weltklimagipfels zu setzen. Unter dem Hinweis, dass dies keinerlei Eingeständnis für Verantwortlichkeiten oder Schuld, stimmten schließlich die Hauptverursacher der Klimakrise zähneknirschend Verhandlungen über „Loss and Damage“ zu. Nicht zuletzt sicher auch, weil die Chefunterhändler*innen der sogenannten G77 durchblicken ließen, ansonsten die COP27, deren Ergebnisse der Zustimmung aller 197 Mitglieder der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) brauchen, zu keinem erfolgreichen Abschluss kommen zu lassen.

In den Statements der Staats- und Regierungschefs zum Auftakt der Konferenz wurden wieder einmal zwei parallele Welten zwischen den reichen Industriestaaten und dem globalen Süden sichtbar: Scholz fabulierte, man könne die Erderhitzung noch auf 1,5 Grad begrenzen, während aktuelle Prognosen auf weit über 2 Grad, vielleicht sogar über 3 Grad bis zum Jahr 2100 hindeuten. Auch die Klimaziele werde man in Deutschland einhalten, meinte Scholz. Dabei hatte der Expertenrat der Bundesregierung seiner Auftraggeberin just in dieser Woche ins Stammbuch geschrieben, sie müsse ihre Anstrengungen verdoppeln, wenn sie ihre Klimaziele fürs Jahr 2030 erreichen wolle. Im Verkehrsbereich brauche es sogar das 14fache Tempo im Vergleich zum Ist-Zustand. Dass Scholz gleich nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine angekündigt hatte, die Ampel sähe sich nicht mehr an ihre Versprechen von Glasgow gebunden, ab 2023 nicht mehr klimaschädliche Projekte im Ausland zu finanzieren, trägt nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. So erschließt Deutschland auf Betreiben von Bundeskanzler und Wirtschaftsminister weltweit neue fossile Infrastruktur erschließt, die selbst die Begrenzung der Erderhitzung auf 2 Grad illusionär erscheinen lässt.

Das Kontrastprogramm dazu boten die Staatschef aus dem globalen Süden. So berichtete der Vertreter Kenias in erschütternden Worten vom katastrophalen Hunger und massenhaften Viehsterben in Folge der derzeitigen historischen Dürre, das Spiegelbild etwa zu Pakistan oder Bangladesch, wo Millionen von Menschen durch Überschwemmungen von der Außenwelt abgeschnitten sind. Gustavo Petro, neu gewählter Präsident Kolumbiens mahnte, die Klimakrise könne nicht mit den Mechanismen gestoppt werden, die sie hervorgebracht haben: Der Markt sei ein denkbar schlechter Ratgeber für globale Klimagerechtigkeit. Es brauche Entschuldung des globalen Südens, gerechte und ernsthafte Finanzierung von Klimawandelfolgen und eine Neuverhandlung weltweiter Handelsverträge, die nicht allein auf ausbeuterischen Prinzipien beruhten, sondern die Erderhitzung permanent antreiben würden.

So geht es nicht erst seit ein oder zwei Weltklimagipfeln, das ist das Bewegungsgesetz der COPs: Die kleinen Inselstaaten, denen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, und die Vertreter*innen des globalen Südens berichten Statement für Statement von den alltäglichen Schäden und Verlusten, von der Dringlichkeit des Handelns. Die Vertreter*innen der reichen Staaten, egal ob Merkel, Macron, Obama, Biden oder Scholz erwecken den Eindruck, alles unter Kontrolle zu haben, schon irgendwie das Kind schaukeln zu können, und wiegeln ab, wenn es um die berechtigten Ansprüche der Staaten geht, deren Gegenwart das zeigt, was auf die Menschheit auf Ganzes zurollt – abgesehen vielleicht von den Milliardären, die sich irgendwann auf den Mars schießen lassen.

Anlässlich des Klimagipfels in Scharm El-Scheich hatte die Entwicklungsorganisation Oxfam darauf hingewiesen, dass bspw. 125 Milliardäre soviel CO2-Ausstoß erzeugten, wie ganz Frankreich, ein durchschnittlicher Milliardär soviel wie 1 Million Menschen. Die Klimakrise ist eben keine Gleichmacherin, sie verstärkt globale Ungleichheit. Den globalen Süden weiter mit Almosen abzuspeisen, während die Industriestaaten ihrem auf ständigem Wachstum basierenden Kapitalismus ein grünes Mäntelchen stricken, mag die Profite der großen Konzerne und die Vermögen der Superreichen absichern. Doch auf dem „Highway in die Klimahölle“ (UN-Generalsekretär Guterres) trifft es irgendwann jeden. Und die Flutkatastrophe im Ahrtal, die jeweiligen Jahrhundert-Dürren seit 2018 und das Jahr 2022, das sich wieder mal anschickt, das heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu werden, geben einen Vorgeschmack auf die Klimahölle, die uns und allen, die nach uns kommen, droht. Wenn nicht radikal, also an die Wurzeln gehend, umgesteuert wird.

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