Kleine Anfrage: Grenzüberschreitende Abwerbung von Pflegekräften

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Unbestritten gibt es in der Bundesrepublik einen Mangel an Pflegefachkräften. Die Gehälter in der Pflege waren noch nie der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Arbeit angemessen. In Folge von Rationalisierungen, Personalabbau und Sparmaßnahmen ist dazu eine massive Arbeitsverdichtung gekommen, Überstunden und Überlastung sind an der Tagesordnung. Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Gehälter machen die Pflege als Arbeitsfeld unattraktiv. Unterschiedliche Studien prognostizieren eine weitere massive Verschärfung des Pflegenotstands, sollte nicht gegengesteuert werden.

Die Bundesregierung setzt laut Koalitionsvertrag auch auf die grenzüberschreitende Abwerbung von Pflegekräften zur Bekämpfung des Personalmangels. Damit tut sie nicht nur nichts gegen die tatsächlichen Ursachen des Pflegenotstandes, sondern trägt zu seiner weltweiten Verschärfung bei. In den Herkunftsländern stehen die jeweiligen Regierungen oft vor einem Dilemma, wenn sie Entscheidungen zur Abwerbung von Gesundheitsfachkräften treffen müssen. Auf der einen Seite werden den eigenen Gesundheitssystemen Fachkräfte entzogen. Auf der anderen Seite profitieren die Länder wirtschaftlich von solchen Abkommen, z.B. durch Rücküberweisungen der Migrant:innen an ihre Familien. Insofern gibt es einen Anreiz, der Abwerbung von Gesundheitspersonal auch dann zuzustimmen, wenn das eigene Gesundheitssystem dadurch geschwächt werden könnte.

Mit der Kleinen Anfrage haben wir nach einem Überblick über die Aktivitäten der Bundesregierung und nach ihrer Einschätzung der Auswirkungen dieser gefragt.

Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass in Deutschland mittlerweile fast genauso viele Pflegekräfte aus Bosnien und Herzegowina wie in dem Land selbst arbeiten. Während es dort gut 19.000 Beschäftigte sind, sind in deutschen Einrichtungen mittlerweile gut 17.000 Personen bosnisch-herzegowinischer Herkunft beschäftigt. Alle Länder des westlichen Balkans erscheinen als Arbeitskräftereservoir für das deutsche Gesundheitssystem: Im Verhältnis ist über ein Drittel der in den Ländern selbst Beschäftigten in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

 Im Heimatland arbeitende PflegekräfteIn Deutschland arbeitende PflegekräfteProzent der im Heimatland arbeitenden Pflegekräfte
    
Albanien15,6925,64535.97%
Montenegro3,11858818.86%
Bosnien und Herzegowina19,05717,04189.42%
Serbien53,88110,74619.94%
Nord Mazedonien7,8842,45231.10%
Kosovo8,3864,22350.36%
SUMME:108,01840,69537.67%
Quellen: https://www.who.int/data/gho/data/themes/topics/health-workforce, https://askdata.rks-gov.net/pxweb/en/ASKdata/ASKdata__Health%20and%20Welfare__02%20Health__01%20Të%20punësuarit%20në%20shëndetësin%20e%20Kosovës/health02_.px/table/tableViewLayout1/, Bundestagsdrucksache 20/2237

Der Löwenteil der Abwerbung läuft über private Vermittlungen. Öffentliche Programme funktionieren aber als Türöffner. Mit Bosnien und Herzegowina gibt es Vermittlungsabsprachen nach § 16d Absatz 4 Aufenthaltsgesetz für die Gewinnung von Pflegefachkräften, die die Anwerbung über die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Rahmen des Triple-Win-Programms ermöglichen. Darüber hinaus schaffe die Absprache die Möglichkeit sogenannter namentlicher Anforderungen durch Arbeitgeber. (Antworten auf Fragen 3-5) Die Anwerbung aus Serbien über das Triple-Win-Programm wurde auf den Wunsch Serbiens eingestellt.

In den 2021 erschienen Richtlinien für das (mittlerweile eingestellte) Förderprogramm „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wird ausdrücklich auf die Gefahren für das dortige Gesundheitssystem hingewiesen. Dort steht: „Zudem hat sich im Rahmen der Statistik der Anerkennungsverfahren von ausländischen pflegerischen Berufsqualifikationen in den letzten Jahren gezeigt, dass der Großteil der zuwanderungswilligen Pflegefachkräfte aus den sogenannten Westbalkanstaaten stammt. Dies zeigt zum einen, dass dort bereits gute Anwerbestrukturen etabliert sind. Zum anderen wird aber das Potenzial an Pflegefachkräften, die abgeworben werden können, ohne dass die Gesundheitssysteme der Herkunftsländer hierdurch von einem Pflegefachkraftmangel betroffen werden, bald ausgeschöpft sein. Es ist daher geboten, für diese Staaten eine weitere Sogwirkung zu vermeiden.“ (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/B/Bekanntmachungen/210629_Foerderbekanntmachung_Faire_Anwerbung_Pflege_Deutschland.pdf)

Es kann nicht sein, dass der Pflegenotstand in Deutschland dadurch versucht wird zu lösen, indem er in andere Länder verlagert wird. In Bosnien und Herzegowina werden fast genauso viele Pflegekräfte für den deutschen Arbeitsmarkt ausgebildet wie für den eigenen. In Deutschland selbst wiederum schmeißen Pflegekräfte hin, Auszubildende brechen ab, weil sie die Belastungen und die fehlende Anerkennung nicht mehr aushalten. Für die Arbeitgeber ist aber natürlich günstiger, sich Ausbildungskosten zu sparen und Pflegekräfte abzuwerben, als durch höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen dafür zu sorgen, dass der Pflegenotstand gestoppt wird. Dabei wären, wie eine Studie aus Bremen[1] zeigt, über 60 Prozent der aus dem Beruf gegangenen Pflegekräfte bereit, wieder einzusteigen, wenn die Bedingungen besser wären. Die Bundesregierung muss also endlich dafür sorgen, dass Pflegekräfte nicht länger in einem auf Profit ausgerichteten Gesundheitssystem verheizt werden. Die Finanzierung der Leistungen sowohl in den Krankenhäusern als auch in der Pflege muss sich am tatsächlichen Bedarf – vor allem auch am personellen Bedarf – orientieren und diesen decken. Sonst wird immer weiter auf dem Rücken der Beschäftigten gespart.

Während die Bundesregierung in ihrer Antwort immer wieder beteuert, nur Pflegekräfte abzuwerben, die vor Ort nicht benötigt würden, gibt sie gleichzeitig zu, dass ein Arbeitskräfteüberschuss auch daraus resultiere, dass vor allem in ländlichen Regionen in Herkunftsländern schlicht die finanziellen Ressourcen fehlen, um Personal einzustellen. (Antwort auf die Fragen 10 und 11)

Aufgabe der Bundesregierung wäre es, finanzielle Ressourcen bereit zu stellen und beim Aufbau von Gesundheitsversorgungsstrukturen zu unterstützen, anstatt qualifiziertes Personal auch noch abzuwerben und damit die gesundheitliche Versorgung noch weiter zu schwächen. Und: Statt gezielter Abwerbung von Fachkräften und der Ausrichtung von Einwanderungspolitik an Nützlichkeitskriterien müssen die Möglichkeiten der individuellen Migration sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen hier lebender Menschen ohne deutschen Pass verbessert werden.


[1] https://gesundheitohneprofite.noblogs.org/post/2021/02/06/bremer-studie-zur-ruckkehr-in-den-pflegeberuf/

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