Liebe Genoss*innen,
auf unserer LVV am 15. Dezember werden wir darüber entscheiden, wer für uns in Berlin unsere Partei – und damit unsere Forderungen für soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Frieden – vertreten wird.
Bereits vor der letzten Bundestagswahl hatte ich angekündigt, dass ich nicht ein weiteres Mal antreten werde. Nun möchte ich mich für das in mich gesetzte Vertrauen bedanken.
Von 2009 bis heute durfte ich euch, anfangs neben meiner Funktion als Landessprecherin der Linken SH bis 2011, als Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten.
Zwölf Jahre lang war ich Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Verantwortliche für die Feministische Politik der Fraktion und in der Wahlperiode, die im kommenden Frühjahr nun vorzeitig zu Ende geht, habe ich drei Jahre als Sprecherin für Globale Gerechtigkeit
(Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte, internationale Klimapolitik) das urlinke Thema der internationalen Solidarität vertreten.
Um die 2.500 Teilnehmer*innen aus SH konnte ich in der Zeit über die Berlinfahrten begrüßen. Das tolle Programm der Gruppen, die dadurch entstandenen Netzwerke und die stets begeisterten Rückmeldungen gehen aber aufs Konto meiner langjährigen
Wahlkreismitarbeiterin und Genossin Gabi Gschwind-Wiese. Zweieinhalbtausendfacher Dank also an Dich, @Gabi 🙂
Erlaubt mir aber, neben den Dankesworten einige Anmerkungen zur Zukunft zu machen. Die Partei hat schwere Zeiten hinter sich. Und gute Zeiten vor sich. Das zeigen nicht nur die vielen Neueintritte, sondern auch der wachsende Optimismus, das Engagement an der
Basis und in der neuen Parteispitze. Dass der Neustart nach der Abspaltung gelingt, ist allerdings kein Selbstläufer. Er ist an Bedingungen geknüpft, die ich hier kurz anreißen möchte.
Es gibt nach den jahrelangen, öffentlich geführten Richtungsstreits und mühsam abgewehrten Versuchen der Parteispalter, die Linke inhaltlich nach rechts zu öffnen, heute einen unbestrittenen Konsens in der Partei:
Wir brauchen eine klare, linke Linie. Für mich und viele andere heißt eine klare Linie allerdings nicht, dass die Erneuerung allein über Schlagworte und Selbstmarketing möglich wird. Wir müssen als Partei sprechfähig sein und vielfältige linke Lösungen anbieten für die vielfältigen Fragen der Gegenwart: Arbeit, Ausbeutung von Mensch und Natur, Klimakrise, Gleichstellung der Geschlechter, Lebenshaltungskosten, Antirassismus, Umwelt, Minderheitenschutz, Krieg und Frieden, Migration, Flucht, Ost-West, soziale
Ungleichheit, Mieten, Nord-Süd, Energiewende, globale Solidarität.
Das Gründungsdokument der Linkspartei von 2007 gilt für mich darum noch immer: „Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.“
Auch der in Halle beschlossene Leitantrag knüpft an dieses Parteiverständnis an: „Die Linke macht Politik mit denen, die fortschrittliche Antworten auf die Herausforderungen der Zeit suchen und durchsetzen wollen, und mit denen, die bei der gesellschaftlichen Verteilung von Macht, Eigentum, Einkommen und Einfluss strukturell benachteiligt werden“.
Ich möchte ganz deutlich sein und davor warnen, dass wir uns als Partei auf einen unscharfen, schwammigen Klassenbegriff begrenzen. Und damit selbst verzwergen. Für mich ist „Klasse“ ein grundlegender Bezugspunkt für mein politisches Denken und Handeln Das ist der Grund, warum ich seit ihrer Gründung in dieser Partei des demokratischen Sozialismus bin. Das Überleben der Linken als ernstzunehmende politische Kraft wird aber nicht gelingen, wenn wir auf die Herausforderungen des 21.Jahrhunderts keine bessere Antworten haben als Zitate und Konzepte aus dem 19. Jahrhundert. Solche Parteien gibt es zur Genüge und sie sind zu bedeutungslosen Politsekten geworden. Inhaltlich und strategisch sollten wir uns darum auf keinen Fall auf eine pauschale „Klassenpolitik“ reduzieren.
Protest und Bewegung, grundsätzliche Kritik und Alternativen, Übernahme konkreter politischer Gestaltungsmacht, dieses Strategische Dreieck geht nur zusammen gedacht mit Klasse, Ökologie, Feminismus, Antirassismus und globaler Solidarität. Eine dogmatische Linke hat aus meiner Sicht keine Überlebenschance. In Zeiten des Rechtsrucks muss uns allen klar sein: Wenn die Linke als historische Errungenschaft nicht überlebt, dann wird sie für lange Zeit verschwunden sein.
Wenn wir – hoffentlich als starke Fraktion – im nächsten Bundestag vertreten sein werden, wird es trotzdem eine außerordentlich schwierige Arbeit, mit einer entsprechend hohen Verantwortung. Eine linke Opposition muss „sagen was ist“ und zugleich für konkrete
Verbesserungen eintreten. Die Linke und ihre MdB wird, noch viel mehr als in den vergangenen Wahlperioden, die Hauptansprechpartnerin für die kritische Zivilgesellschaft sein müssen und das vorher genannte strategische Dreieck auch in der Parlamentsarbeit zur Grundlage machen.
Der Bezugspunkt der MdB-Arbeit ist damit weniger die eigene Wirkung auf die Parteibasis, sondern auf die Gesellschaft mit ihren aktuellen Herausforderungen und diejenigen, deren Interessen wir dort vertreten. Diese anspruchsvolle Arbeit hätte ich nie geschafft ohne meine Mitarbeiter*innen, die Netzwerke und Bündnisse im Bundestag (auch interfraktionell), den interaktiven Kontakt zu Verbänden, Projekten und ihren Vertreter*innen und das ständige Bemühen, die Bodenhaftung nie zu verlieren. Das ist zugleich ein Rat an alle künftigen MdB: Bildet Banden und schließt Freundschaften.
Ich möchte mich auch bei euch allen bedanken. Für die vielen Jahre der Zusammenarbeit, der Solidarität, der Kollegialität, der Kritik und der Freundschaft.
Mit solidarischen Grüßen
Conni